Ich sitze im Flugzeug. Die Sonne scheint, der Himmel ist so wunderschön blau. Weit unter mir die lockeren Wolken. Ich starre aus dem Fenster. Die Tränen rollen über meine Wangen.
Ja, über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. Ist sie das?
Ich sitze schon knapp eineinhalb Stunden so da. Ich hab den ganzen Flug lang geweint. Das ist nicht einfach so passiert. Das hat schon ca. zwei Wochen vorher begonnen. Ich habe begonnen nachzudenken. Über das zu Ende gehende Jahr. Über ein Jahr, das wie ein Traum war. Ich war noch nie so glücklich. Ich hab mich endlich wieder stark gefühlt. Bei mir selbst. Ich war wieder Herr (Frau!) über mein Leben, meine Gefühle. Nicht mehr gefangen.
Ich habe am Handy Folgendes in meine Notizen geschrieben:
„dass kein leben so perfekt ist, wie es auf instagram scheint, wisst ihr oder?
ich kann mich an jedes bild* erinnern, bei dem ich die ganze nacht davor weinend im bett gelegen bin.. ich kann mich an jede prüfung erinnern, die ich nicht geschafft hab oder zu der ich gar nicht erst angetreten bin, weil ich nicht geschlafen hab, kopfweh hatte vom weinen und mir das alles egal war, weil ich meine ganze kraft dafür gebraucht hab, den schein als gings mir gut aufrecht zu erhalten..
ich kann mich an jedes mal erinnern, wenn ich von der uni oder der arbeit heim bin und ich die stiegen zu meiner wohnung rauf vor lauter tränen in den augen nicht mehr sehen konnte.. und ich mich jedes mal gefragt hab, wann die leute endlich aufhören zu fragen, wies mir geht.. und wann ich endlich aufhören kann zu lügen..“
*natürlich nicht JEDES Bild, aber wenn es so ein Bild war, dann weiß ich es heute noch.
Heute muss ich nicht mehr lügen. Aber offensichtlich lässt es mich nicht los. Vielleicht muss ich akzeptieren, dass das ein Teil von mir ist. Ich kann es nicht ungeschehen machen.
Es ist wirklich seltsam.
Erst im Laufe des Jahres ist mir bewusst geworden, wie schlecht es mir gegangen ist. Ich dachte irgendwie, das ist normal. Ja man lebt halt. Oder so. Mehr oder weniger.
Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, wie glücklich man sein kann. Und jetzt, wo ich auf die Frage „Wie geht’s dir?“ sagen kann „Danke, sehr gut und dir?“ – ohne innerlich fast zu platzen – kann ich mir nicht vorstellen, wie ich so unglücklich sein konnte.
Jetzt weiß ich, warum ich mich damals irgendwann nicht mehr in der Lage gefühlt habe, das alleine durchzustehen. Alle Gespräche mit Freundinnen verliefen irgendwann gleich. Es gab nichts mehr zu sagen. Ich und alle anderen wussten, was die Lösung des Problems ist.
Ich habe aber auf den Moment gewartet, der das Haus endgültig zum Einstürtzen gebracht hat.
Danach kam eine Zeit lang Leere. Da war nichts mehr, nichts worüber man hätte sprechen können, nichts was man versprechen hätte können, nichts was man besser machen hätte können.
Und plötzlich ging’s mir gut.
Ich hab nicht geweint. Nicht mehr. Ich habe kein einziges Mal zurückgedacht und mich gefragt, was wäre wenn. Ich hab mir kein einziges Mal gedacht, ich will wieder zurück. Ich weiß, dass ich 150% gegeben habe. Dass ich absolut alles getan habe, was ich tun konnte. Alles. Zu viel.
Und seitdem haben mich so viele Menschen gefragt, wie’s mir geht? Vor allem wie’s mir DAMIT geht. Was das damit auch immer sein soll. Viele haben gemeint, ich versteh nicht wie du das machst, dass es dir so gut geht.
Heute habe ich eine Antwort auf die Frage. Und die ist eigentlich sehr einfach.
Ich habe aufgehört eine Entschuldigung zu verlangen.
Ich habe mir selbst verziehen.
Und ich habe ihm verziehen.
Der Moment, in dem ich realisiert habe, dass das sozusagen der Schlüssel zu der Box ist, die ich jetzt endlich zusperren konnte, in einen Kasten stellen und damit abschließen konnte – in dem Moment hab ich mich wiedergefunden.
Ich bin stolz auf mich, dass ich die Box zugesperrt hab. Auch wenn das Ganze manchmal zurückkommt und ich weinen muss. Mit jeder Träne wird’s leichter und vielleicht kann ich die Wunden nie schließen, aber das ist okay.
„There is a crack in everything, that is how the light gets in“
(Leonard Cohen)
xoxo,
olivia